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Ö# - Ökologisch erfolgreich, 19.05.2021, Autorin: Jana Sondermann

Bio: Lebensmittel oder Lebensstil?
Tagung Ökologischer Landbau

Studenten und Experten aus Baden-Württemberg diskutierten in einer Online-Konferenz über die Zukunft des Ökologischen Landbaus. Eine Agrarbloggerin stellte ihre Arbeit vor. Es wurden Ideen ausgetauscht, auf welche Weise man am besten Werbung für Biolebensmittel macht. Und was sind eigentlich True Costs?

Poetry-Slams kennt mittlerweile fast jeder. Aber wer hat schon einmal von einem Öko-Slam gehört? Unter dem Titel: „Zukunft des Ökologischen Landbaus“ lud die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen Schüler und Studenten dazu ein, mit Experten des Fachbereichs Ökologie zu diskutieren und eigene Ideen einzubringen. Die Uni Hohenheim, die Duale Hochschule Heilbronn und die Fachschulklasse für Ökologischen Landbau Emmendingen Hochburg mit dem Kompetenzzentrum Ökologischer Landbau Baden-Württemberg nahmen ebenfalls an der Veranstaltung teil. Die Studentengruppen brachten in kurzen Präsentationen ihre Ideen für eine ökologischere Zukunft vor. Alexander Beck, Vorstand der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller, Robert Hermanowski, Geschäftsführer der FiBL und Sophie von Lilienfeld-Toal, Geschäftsführerin der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftsethik diskutierten die Machtbarkeit der Vorschläge.

Agrarbloggering auf Instagram
Agrarbloggerin Marie Tigges eröffnete die Veranstaltung mit einem Impuls-Beitrag. Auf ihrem Instagram-Account marie.vom.tiggeshof zeigt sie ihren fast 15.000 Abonnenten ihr tägliches Leben auf einem ökologischen Betrieb. Sie sieht ihre Tätigkeit als Agrarbloggerin als Aufklärungsarbeit, um für die Menschen wieder einen Bezug zur Landwirtschaft herzustellen. Ihr ist es wichtig, dass ihre Zuschauer die Landwirtschaft mitfühlen und miterleben können. Sie hofft, so wieder mehr Verständnis für die Praktiken der Landwirte zu wecken. Gleichzeitig bemängelt sie, dass es bisher noch viel zu wenige Agrarblogger auf Instagram gäbe.

Die richtige Werbung
Damit gab Tigges den Startschuss für eine Frage, die im Laufe des Nachmittags noch öfter gestellt wurde: Wie soll und darf die Biobranche sich vermarkten? Alle Teilnehmer waren sich einig, dass es mehr Werbung für Bio geben müsse. Wie genau diese Werbung aussehen soll, darüber wurde kontrovers diskutiert. Die Studentengruppe der Dualen Hochschule Heilbronn schlug vor, dass die beste Werbung für Bioprodukte Ökotainment (ökologisches Entertainment) sei. Vor allem Studenten würden abends gerne mal etwas trinken gehen. Öko-Bars, in denen nur ökologische Getränke angeboten werden, wären demnach ein guter Einstieg, um junge Leute in Kontakt mit Bio zu bringen. Robert Hermanowski fasst es etwas lapidar mit den Worten „Saufen für Öko“ zusammen und nannte das Getränk Bionade als ein positives Beispiel, bei dem es gelungen sei, ein Biogetränk „cool“ zu machen. Die Fachschulklasse für Ökologischen Landbau Emmendingen regte an, Pflichtpraktika in der Lebensmittelproduktion einzuführen, um einer Entfremdung von der Landwirtschaft entgegenzuwirken. Zusätzlich schlugen sie vor, Biolebensmittel schon in Schulkantinen anzubieten.

Die Junge DLG Nürtingen erläuterte, dass auch Imagefilme helfen würden, Biolebensmittel in eine breite Öffentlichkeit zu tragen. Sie forderten, dass Fußballer Werbung für Biolebensmittel anstatt für Nutella machen sollten. Das würde biologische Erzeugnisse in eine breitere Öffentlichkeit tragen und diese gleichzeitig als cool darstellen. Doch sind Fußballspieler, die oft um die Welt fliegen, um zu ihren Spielen zu kommen, überhaupt die Richtigen, um Werbung für biologisch erzeugte Lebensmittel zu machen? Diese Frage spaltete die Zuhörer und brachte die Frage auf: Ist Bio eine Art sich zu ernähren oder eine Art zu leben? Und passen Biolebensmittel in den Discounter?

Die wahren Kosten für Lebensmittel
Auch das Thema „True Costs“ wurde im Laufe des Nachmittags immer wieder diskutiert. Die „wahren Kosten“ (englisch: True Costs) unserer Lebensmittel sind teilweise um einiges höher als das, was im Laden auf dem Preisschild steht. Bei der Produktion von Lebensmitteln gibt es immer versteckte Kosten. Das sind Umwelt- und soziale Folgekosten, die der Landwirt nicht direkt bezahlt und die deshalb nicht im Verkaufspreis stecken. Diese zusätzlichen Kosten werden stattdessen direkt oder indirekt von der gesamten Gesellschaft getragen. Zum Beispiel wird mit der Wasserrechnung das Aufbereiten des Trinkwassers bezahlt, wenn dieses etwa durch Düngemittel belastet ist. Laut dem Bundeszentrum für Ernährung und einer Studie der Universität Augsburg führen insbesondere der Verzicht auf mineralischen Stickstoffdünger in der Biolandwirtschaft sowie geringere Einsätze von industriell produziertem Kraftfutter zu niedrigen wahren Kosten bei ökologisch gegenüber konventionell produzierten Produkten. Um die wahren Kosten zu berechnen, gibt es das „True Cost Accounting“.

Die Vertreter der ökologischen Verbände erinnerten auch daran, dass in Deutschland wenig Geld für Lebensmittel ausgegeben wird. In anderen Ländern hätten Lebensmittel einen viel höheren Stellenwert. Dies wäre ein zentrales Problem, das es in Deutschland zu überwinden gilt. Dafür müssten aber soziale und gesellschaftliche Strukturen verändert werden.

Der Label-Dschungel
Mittlerweile gibt es sehr viele Bio-Label, die alle andere Standards und Anforderungen haben: Bioland, Demeter, Naturland, BIO nach EG-Öko-Verordnung. Sowohl die Experten als auch die Studenten bemängelten, dass es schwer sei, bei all den Siegeln den Überblick zu behalten. Die Experten schlossen auch nicht aus, dass eines Tages alle Siegel zu einem großen Siegel zusammengefasst werden. Gespannt werde das neue Eco-Score-Label erwartet. Es funktioniert ähnlich wie der Nutri-Score. Beim Nutri-Score wird das Nährwertprofil eines Lebensmittels angezeigt. Bei dem neuen Eco-Label soll die Nachhaltigkeit von Produkten auf einen Blick sichtbar sein. Gestartet hat der Eco-Score in Frankreich und wird in Deutschland jetzt bei Lidl ausgetestet. Wie der Nutri-Score arbeitet das neue Label mit einem fünfteiligen Farbsystem. Das dunkelgrüne A auf einem stilisierten Blatt steht für die besten Werte, ein rotes E für die schlechtesten. Beachtet werden dabei die Umweltwirkungen eines Produkts über die gesamte Wertschöpfungskette. Auch Nachhaltigkeitskriterien wie Biodiversität, Transport, die Recyclingfähigkeit von Verpackungen und die Zertifizierung der Inhaltsstoffe (zum Beispiel Bioland, MSC oder Fairtrade) werden in die Bewertung mit einbezogen.

bioPress - Fachmagazin für Naturprodukte, 10.05.2021, Autorin: Lena Renner

Ökolandbau Digitaler Öko-Slam
Studenten sprechen über die Zukunft des Ökolandbaus

Wie kann sich der Ökologische Landbau weiterentwickeln? Wo gibt es Probleme, wo Potenziale und Chancen? Auf einer Online-Studierendenkonferenz tauschten sich am 6. Mai Studenten von Universitäten und Hochschulen in Hohenheim, Nürtingen, Heilbronn und Emmendingen mit Experten des Öko-Sektors über die Zukunft des Ökologischen Landbaus aus. Rund 300 Interessierte nahmen an der Veranstaltung teil.

„Wir wollen mehr Öko, aber was machen die anderen? Und wie verhalten wir uns zu denen?“, warf Martin Ries vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg – Schirmherr der Konferenz – zu Beginn des Treffens als Frage auf.

Wir sind für Öko mit konventionell“, so die Antwort der Jungen DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) Hohenheim. Sie beruft sich dabei auf die FiBL-Studie‚ Entwicklungsperspektiven der ökologischen Landwirtschaft in Deutschland‘, in der das Szenario ‚Integrierte Produktion Plus‘ (IP+) vorgestellt wird. Wenn konventionelle Betriebe Techniken aus dem Ökolandbau übernähmen und weniger Pestizide einsetzten, würden sich ihre Erträge bei verbesserten Umweltwirkungen stabilisieren. Auch der konventionelle Landbau müsse sich weiterentwickeln und umweltfreundlicher werden. Man solle daher betriebsabhängig entscheiden, was jeweils möglich ist. „Die Landwirte brauchen Perspektiven – und es gibt verschiedene“, stimmte Alexander Beck, Vorstand der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL), der Jungen DLG zu.

Bio zwischen Erwartung und Wirklichkeit
Darüber, was der Ökolandbau für den Naturschutz leistet, sprachen Studenten des Studiengangs ‚Landschaftsplanung und Naturschutz‘ der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geißlingen. Zur Verbesserung der bestehenden Leistungen schlugen sie mehr Weidehaltung, die Übernahme von Prinzipien der Permakultur sowie mehr Strukturvielfalt durch den Biotopverbund vor.

„Was ist privat, was öffentlich?“, fragte Sophie von Lilienfeld-Toal, Geschäftsführerin der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftsethik (GfaW), in Bezug auf Verantwortung und Naturschutz. „Und wo sollten die Freiheiten der Landwirte enden?“ Robert Hermanowski, Geschäftsführer des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), wies auf die problematische Trennung von Landwirtschaft und Naturschutz hin. Denn auch oder gerade in intensiv bewirtschafteten Gebieten brauche es Naturschutz. Leider passiere es sogar auf Biohöfen, dass Böden ausgebeutet werden, stellte er kritisch fest.

Die Arbeitskreise Ökolandbau und Nachhaltigkeit sowie die Studierendengruppe FRESH der Universität Hohenheim setzten sich mit den Potenzialen von Anbauverbänden auseinander. Als interessanten Ansatz stellten sie die Biodiversitäts-Richtlinie Biolands vor. Diese beruht nicht auf Ge- und Verboten, sondern auf einem Katalog mit Maßnahmen, für deren Umsetzung die Betriebe Punkte erhalten, was ihnen ein individuelles Engagement für selbstgewählte Naturschutzthemen ermöglichen soll.

Laut Alexander Beck ist die Aussagekraft von Siegeln in den letzten Jahren eher erodiert. Besonders streng sei außerdem nicht automatisch mit gut gleichzusetzen. Die Verbraucher hätten sehr große Erwartungen an eine artgerechte Tierhaltung, stellte Hermanowski fest. Aufgabe der Verbände sei es, einen Mittelweg zwischen der Realität ihrer Landwirte und dieser Erwartungshaltung zu finden.

Fairness für Landwirte und Verbraucher
„Wie kann der der Handel mit ökologischen Lebensmitteln fair bleiben?“, fragte sich die Fachschaft Agrar der Universität Hohenheim. Nachhaltige Produkte sollten kein Luxusgut sein, aber gleichzeitig ein ausreichendes Einkommen für die Landwirte sicherstellen. Es brauche weniger Bürokratie und dafür mehr kleine Erzeuger. Regionale Vermarktung, fairer Handel und ein sicherer Absatz seien Schlagworte für eine Entwicklung in die richtige Richtung.

Hermanowski sprach sich ebenfalls gegen Nachhaltigkeit als Privileg einer kleinen gesellschaftlichen Gruppe aus. Alexander Beck bestätigte die Problematik von schwindenden regionalen Versorgungsketten – etwa in Bezug auf Bäckereien und Schlachthöfe. „Trotzdem darf man auch die Economies of Scale nicht ignorieren“, meinte Hermanowski und plädierte daher nicht zwingend für den Erhalt von Kleinstbetrieben. Auch Bio-Betriebe hätten sich in den letzten Jahren vermehrt vergrößert oder Betriebsgemeinschaften gebildet.

Mehr Wertschätzung durch Ecotainment und Aufklärung
Mit Möglichkeiten, die Bio-Nachfrage zu erhöhen, beschäftigten sich Studenten des Studiengangs ‚Food Management‘ der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn. „Damit die Konsumenten bereit sind, mehr zu zahlen, müssen sie den Mehrwert von Bio erkennen“, erklärte Studentin Paula Humann. Verkaufsaktionen mit Ausschilderung der ‚Wahren Kosten‘ könnten Aufmerksamkeit schaffen. Außerdem sei ‚Ecotainment‘, also die unterhaltsame Vermittlung ökologischer Sachverhalte, ein vielversprechender Ansatz, der etwa von Bio-Bars mit einem ökologischen Getränke-Angebot gut umgesetzt werden könne. „Die Lebensmittel-Ausgaben in Deutschland sind sehr gering“, bestätigte Alexander Beck die Notwendigkeit eines wertschätzenden Umdenkens.

Eine Entfremdung der Gesellschaft von der Landwirtschaft konnte auch die Fachschulklasse für Ökologischen Landbau des Landwirtschaftlichen Bildungszentrums Emmendingen-Hochburg feststellen. „Landwirtschaft und Ernährung müssen in die Bildung!“, schlug sie zur Abhilfe vor.

Mehr Bildung und Aufklärung für Bio forderte ebenfalls die Junge DLG Nürtingen. Durch spezielle Konzepte wie die Solidarische Landwirtschaft, bei der Konsumenten Ernteanteile direkt vom Hof beziehen und auch bei landwirtschaftlichen Arbeiten mithelfen können, ließe sich die Entfremdung bekämpfen. Über den Vorschlag, Bio-Produkte von Profi-Fußballern bewerben zu lassen, entspann sich eine angeregte Diskussion der Teilnehmer im Chat. Bestimmten heute nicht eher Influencer darüber, was cool ist?

Eine solche Influencerin ist die Agrarbloggerin Marie Tigges, die auf der Konferenz von ihrer Arbeit berichtete. Bei Arnsberg im Sauerland bewirtschaftet die 28-Jährige einen Bioland-Bauernhof mit ihren Eltern. Als @marie.vom.tiggeshof lässt sie ihre knapp 15.000 Follower auf Instagram an ihrem Hofalltag teilhaben und will so Wissen vermitteln, Vertrauen schaffen und mit Vorurteilen aufräumen. „Aufklärung muss direkt vom Hof kommen – nicht von Außenstehenden“, ist sie überzeugt. Durch gute Öffentlichkeitsarbeit könne die Landwirtschaft wieder mehr Wertschätzung erfahren. Leider gebe es bisher aber noch viel zu wenige Ökoblogger – vielleicht ein Ansporn für manchen der jungen Zuhörer, selbst aktiv zu werden.